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Nach 63 Jahren endete die Ära der Bäckerei Göttlicher in Ober-Breidenbach – und alle sagten „Tschüss“

Von Margaret Perkuhn

Still ist es geworden. Nur hin und wieder lautes Scheppern im Hof, wenn Blech auf der LKW-Ladefläche vom Schrotthändler landet. Dinge, die einmal unverzichtbar waren, damit alles rund lief in der traditionsreichen Bäckerei von Rita und Rolf Göttlicher in Ober-Breidenbach. Am 1. Oktober hieß es „Goodbye“ – mit so mancher Träne in den Augen. Im Dorfgemeinschaftshaus Ober-Breidenbach fanden sich zahlreiche Freunde ein, um ein „letztes Frühstück“ mit Rita und Rolf zu zelebrieren.

Dieses durchdringende „Trrr…Bim-bim“ der Türglocke, Tag für Tag hat es dafür gesorgt, dass jeder Mitarbeiter wusste:  Hey, da will jemand Brötchen, Kuchen oder Brot, vielleicht auch eine Zeitung oder ein Pfund Kaffee. Vorbei. Kein müder Heimkehrer mehr, der vorsichtig kurz nach Mitternacht oder morgens um halb vier seinen Kopf hereinschiebt in die warme Backstube, um dann auf irgendeinem Mehlsack sein Herz auszuschütten. Ein letzter Absacker, ein gutes Gespräch – „der Rolf hatte immer für jeden ein offenes Ohr!“ Nicht ohne, dass alles in der Backstube weiter wie am Schnürchen lief – jeder wollte schließlich, wie gewohnt, seine Brötchen frisch auf dem Tisch.

“Es schließt die letzte Institution der drei Bergdörfer”

Das ist vorbei – Rita und Rolf Göttlicher aus Ober-Breidenbach machen den Kehraus. Im Haus bleibt das Klacken von Kartons, die zusammengepackt werden, geschäftiges treppauf, treppab, alles wird ausgeräumt. Schwer dreht sich der Schlüssel im Schloss – die Bäckerei mit der unverwechselbaren Aura ist zu. Ortsvorsteherin Uli Geisel bringt es auf den Punkt: “Es schließt die letzte Institution der drei Bergdörfer”.

„Bergdörfer“, das sind die drei Romröder Stadtteile Ober-Breidenbach, Nieder-Breidenbach und Strebendorf. Dort ist sukzessive immer ein bisschen mehr „verschwunden“ in den vergangenen Jahrzehnten. Auf einmal keine Kneipe mehr, die letzte Tankstelle macht dicht, verschwunden der Tante-Emma-Laden, die kleine Lebensmittel-Filiale. Jetzt in Ober-Breidenbach die Bäckerei. Die so viel mehr war als ihre wilden Tigerbrötchen, die berühmten Butterhörnchen, die originelle Eierschecke, Weißbrot oder knackiges Walnussbrot, das bei manchen die ganze Woche über nicht auf dem Frühstückstisch fehlen durfte. Noch einmal bringt es die Ortsvorsteherin auf den Punkt: „Das, was uns Bewohnern vor allen Dingen zusätzlich fehlen wird, ist das Stück Gemeinschaft. Im Bäckerladen wurde sprichwörtlich täglich Zeitung gelesen“.  Nicht nur am Samstagmorgen, wenn alle dort standen in kleinen Grüppchen im Hof vor dem Laden und nicht nur das Dorfgeschehen aktualisiert wurde. Davongeflogen ist der Duft von Salzekuchen, der über die Region hinaus bekannt war. Vieles wurde nach mündlich überlieferten Rezepten gebacken, stets in Folge verfeinert mit neuen Ideen, gebacken mit Liebe und Leidenschaft zum Beruf.

DGH beim Überraschungsfrühstück “voll bis onner dei Deck”

So jemanden lässt man nicht einfach ziehen. Nicht nur deswegen war Anfang des Monats das Dorfgemeinschaftshaus von Ober-Breidenbach „gestoppte voll bis onner dei Deck“. Viele treue „Fans“ waren gekommen, um ihrem Bäcker persönlich „Tschüss“ zu sagen. Alle hatten dichtgehalten und feierten ein Überraschungsfrühstück für Rita und Rolf.

Jeder hatte etwas mitgebracht; am Ende zog sich geradezu in einer „Endlos-Schleife“ ein Buffet mit allem Drum und Dran durch das Dorfgemeinschaftshaus. Kerzen flackerten über Käse, Hausmacherworscht, über Rührei mit Schinken, über schmucken Gläsern mit selbstgemachter Marmelade, alles bunt und herbstlich dekoriert. Der Clou: Die Brötchen, „die der Rolf selbst gebacken hat“, verrät einer der Anwesenden. Deswegen waren in den Tagen zuvor unzählige Brötchen in der Bäckerei Göttlicher bestellt worden – nicht nur von privaten Haushalten, sondern auch von der Burschenschaft, der Feuerwehr, vom Obst- und Gartenbauverein. All diese Brötchen wurden sorgfältig aufbewahrt für das große Abschiedsbuffet. An besagtem Samstag holten Tochter und Schwiegersohn das Ehepaar Göttlicher ins DGH. Die Tür zum Saal ging auf, dort standen im Halbkreis die vielen Bergdörfler, sofort setzte der gesungene Willkommensgruß ein. Vor dem Ansturm aufs Buffet überbrachten Ortsvorsteherin Ulrike Geisel und einige Vereinsvorsteher ihr Dankeschön. Zurückgegeben wurde das Danke von Rolf Göttlicher in kurzen Worten, dann brach die Stimme, die Rührung überwältigte das Ehepaar.

Bäckerei, Wirtschaft, Glastanzdiele, Café

Es war das Ende einer Ära, die vor 63 Jahren begann, als Vater Sepp gemeinsam mit seiner Frau Waltraud neben der dazugehörigen Wirtschaft Wenzel eine Bäckerei aus dem Boden stampfte. Zu beidem gehörten bis Mitte der 1970er Jahre eine weithin bekannte Glastanzdiele und ein Café.  Rita und Rolf Göttlicher erinnern sich: „Wir hatten immer, aber auch wirklich immer ein offenes Haus, dabei durften wir nie etwas vergessen. Mitten im Trubel zum Beispiel die neue Ware bestellen, das Auto beladen mit Backwaren, die mehrmals in der Woche in umliegende Dörfer gefahren wurden.“ Gibt´s nicht mehr, ebenso wie die einst aus Lebkuchenteig kreierten „Muttertagsherzen“ oder bunt schillernden Hexenhäuschen in der Weihnachtszeit.

Schon Vater Sepp war ein Künstler, noch heute sind viele seiner Aquarellbilder zu sehen. Seine beiden Söhne wurden Bäckermeister im eigenen Familienbetrieb, Rolfs Bruder starb früh.  Bis heute aktiv als Tischtennisspieler, bleibt für Rolf jetzt Zeit, sich auf seiner Harley Davidson den Wind um die Nase wehen zu lassen. Oder vielleicht im Kanu zwischen Elchen, Grizzlys, Luchsen und Lachsen den Yukon in den Rocky Mountains herunterzupaddeln.

In jedem Brötchen steckte etwas von dieser ungewöhnlichen Unternehmungslust, Neues auszuprobieren, von der Kreativität, von der Herzlichkeit der Familie Göttlicher.

Es war einmal.

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